Station 6

Jesus wird gekreuzigt

Energisch steht mein Onkel vom Frühstückstisch auf. „Ich gehe zum Palast von Pontius Pilatus. Ich will mich umhören, ob es etwas Neues von Jesus gibt.“ „Bitte, Onkel, kann ich mitkommen“, frage ich. Mein Onkel blickt erst meine Tante und dann mich an. „Na gut, mein Junge, komm mit“, sagt er. Auf dem Weg erzählt mein Onkel mir, dass es Brauch ist, dass der Statthalter zum Passah-Fest einem Gefangenen die Freiheit schenkt. „Bestimmt lässt er Jesus frei“, sage ich zu meinem Onkel. „Er hat doch niemandem etwas getan.“ „Nicht alle denken so wie du und ich“, erklärt mir mein Onkel, „und nicht allen passt, was Jesus macht und sagt.“

Am Palast von Pilatus hat sich bereits eine große Menge versammelt. Laut höre ich sie rufen: „Kreuzige ihn, kreuzige ihn.“ Und dann sehe ich Jesus. Er steht auf dem Balkon des Palastes. Er hat eine Dornenkrone auf dem Kopf und ein Stück roten Stoff um die Schultern.„Und das will ein König sein“, sagt ein Mann in unsrer Nähe spöttisch und spuckt auf den Boden. Auf einmal wird mir bewusst, dass die Menschen Jesus meinen, wenn sie rufen: „Kreuzige ihn.“ Die Menschen wollen, dass Jesus gekreuzigt wird!

Schließlich tritt ein Mann vor. Er ist prächtig gekleidet. Das muss der Statthalter Pilatus sein. „Kreuzigt ihn“, sagt auch er, „führt ihn nach Golgatha“. Das darf nicht wahr sein! Aber auf seinen Befehl hin gehen Soldaten auf Jesus zu. Sie packen ihn und schubsen ihn und führen ihn ab. Die Menschen grölen und drängeln. Alle wollen einen Blick auf Jesus erhaschen. Mein Onkel packt mich an der Hand und zieht mich in eine kleine Gasse.

„Und jetzt? Was passiert jetzt mit Jesus?“, frage ich ihn. „Du hast es doch gehört: Jetzt werden sie Jesus nach Golgatha führen und ihn kreuzigen“, sagt mein Onkel. „Aber vielleicht passiert ja noch ein Wunder“, versuche ich, meinen Onkel zu ermutigen.

Wir folgen den Menschen aus der Stadt hinaus auf den Hügel Golgatha. Fest umklammere ich die Hand meines Onkels. Die Soldaten haben Jesus einen schweren Balken auf die Schultern gehievt. Diesen Balken muss er den Hügel hinaus schleifen.

Als wir oben angekommen sind, kann ich nicht mit ansehen, was dort passiert. Voller Entsetzen verberge ich mein Gesicht im Gewand meines Onkels. Aber ich höre die Schläge des Hammers und weiß: jetzt schlagen sie Jesus ans Kreuz. Erst als es um mich herum ganz still ist, wage ich es, die Augen wieder zu öffnen. Da hängt Jesus am Kreuz! Mir steigen Tränen in die Augen und ich muss den Blick wieder abwenden.

Auf dem Weg nach Hause sprechen mein Onkel und ich kaum ein Wort. Keiner von uns weiß, was er sagen soll. Wir sind beide unendlich traurig. Jesus ist tot. Es ist kein Wunder geschehen.